Manchmal verändert sich die digitale Landschaft schneller, als man die Zahlen überhaupt richtig deuten kann. Ich erinnere mich noch an den Moment, als die ersten ChatGPT-Referral-Traffic-Zahlen durch die Branche gingen. Viele von uns waren elektrisiert – so, als stünde da ein neues Suchuniversum offen. Doch jetzt, nur kurze Zeit später, sieht das Bild ganz anders aus: der Verkehr aus Large Language Models (LLMs) schrumpft – gewaltig sogar.
Der rasante Aufstieg – und der noch schnellere Rückgang
Ich will ehrlich sein: Noch Anfang 2025 hätten wohl viele darauf gewettet, dass der durch KI angestoßene Traffic langfristig die klassische organische Suche ergänzt oder sogar übertrifft. Die Daten waren zu schön, um nicht zu hoffen. Der LLM-Traffic, also jener aus Chatbots und generativen Systemen wie ChatGPT oder Claude, wuchs seit Anfang des Jahres um über 60 %. Eine Wachstumsrate, die in jedem Marketing-Report glänzen würde. Doch dann kam die Ernüchterung: Seit Juli ist dieser Traffic um fast die Hälfte eingebrochen. Ein Minus von mehr als 40 % in nur wenigen Monaten.
Ich habe mir verschiedene Datensätze angeschaut. Zu Beginn sah alles klar nach exponentiellem Wachstum aus – von Januar bis Juli lag der monatliche Zuwachs bei rund 19 %, später nur noch bei knapp über 10 %. Klingt immer noch ordentlich, aber dieser Trend reicht eben nicht, um den Markt so zu verschieben, wie viele vermutet hatten.
2024 machten LLM-Verweise nur etwa 0,14 % des gesamten organischen Traffics aus. 2025 stieg der Anteil immerhin auf 1,1 %. Klingt nach Fortschritt – aber was, wenn gleichzeitig der Kuchen selbst kleiner wird? Organischer Traffic schrumpft nämlich insgesamt – getrieben durch AI Overviews und die neue Art, wie Google Antworten direkt in der Suche anzeigt.
Warum LLM-Traffic versiegt
Es gibt keine einzelne Ursache. Es ist, wie so oft im digitalen Marketing, ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren.
1. Saisonalität und Nutzerverhalten
Im Sommermonat August beispielsweise verloren fast alle B2B-Websites überdurchschnittlich viel LLM-Traffic. Traditionell ist das eine ruhige Zeit – Urlaubsphase, weniger Arbeitsanfragen, weniger recherchierende Nutzer. Aber das erklärt nicht alles, denn die Nutzung von ChatGPT oder Claude selbst ist in dieser Zeit nicht zurückgegangen. Die Menschen blieben also in den Tools aktiv, sie klickten nur weniger auf externe Quellen.
2. Der „Router“-Effekt: weniger Zitate, weniger Klicks
Seit ChatGPT 5 gibt es ein sogenanntes „Routing-System“. Es entscheidet, welcher Modelltyp – reasoning oder non-reasoning – zum Einsatz kommt. Und genau das verändert die Sichtbarkeit dramatisch. Denn die einfacheren Modelle zitieren weniger Quellen. Das heißt: Sie verlinken oder nennen seltener fremde Seiten, was wiederum den Referral-Traffic direkt abklemmt. Für alle, die auf organische Erwähnungen hoffen, ist das ein echter Dämpfer.
3. Konzentration auf wenige Plattformen
Interessant ist auch, wohin die verbleibenden Verweise gingen: Die Masse an LLM-Verkehr konzentriert sich zunehmend auf wenige große Seiten – vor allem Wikipedia und Reddit. Das macht Sinn, denn diese Plattformen gelten als besonders „vertrauenswürdig“ oder als beliebte Trainingsquellen für Modelle. Für kleine und mittlere Websites bedeutet das allerdings: Sie verschwinden in der unsichtbaren Zone der Antworten.
Das Paradox wachsender Nutzung bei schrumpfender Sichtbarkeit
Was zunächst wie ein Widerspruch klingt, ist in Wahrheit typisch für ein reifes Ökosystem: Die Nutzung der Tools steigt, aber die externe Verlinkung sinkt. ChatGPT, Claude, Perplexity und andere werden immer geschlossener – sie halten den Nutzer im eigenen Kosmos. Das ist aus wirtschaftlicher Sicht logisch, aus SEO-Sicht jedoch fatal.
Wenn man sich anschaut, wie das Gesprächsmodell von ChatGPT heute funktioniert, erkennt man: Je besser die Modelle werden, desto seltener müssen sie überhaupt zitieren. Und je weniger sie zitieren, desto uninteressanter wird der Kanal für Seiten, die auf Traffic hoffen. Es ist fast wie bei Social Media-Plattformen: Reichweite ja, Klicks nein.
Diese Dynamik zeigte sich ab Herbst besonders deutlich. Die Zahl der Erwähnungen („Mentions“) von ChatGPT selbst ging um rund ein Drittel zurück. Parallel dazu fielen auch die Zitationsraten großer Domains.
Die wahre Währung heißt Sichtbarkeit, nicht Klicks
Ich finde, das ist ein entscheidender Punkt, den viele noch unterschätzen. Früher ging alles um das Klicken, heute zählt das Gesehenwerden. LLMs haben im Prinzip den „Zero-Click“-Moment perfektioniert. Nutzer bekommen ihre Antwort direkt im Fenster – sie müssen nirgendwo mehr hin. Traffic ist damit keine valide Metrik mehr.
Ein Beispiel aus eigenen Beobachtungen: In über 90 % der Fälle bleiben Nutzer innerhalb des AI-Dialogs. Nur bei Themen wie Produktsuchen oder Preisvergleichen verlassen sie das Tool noch. Diese Erkenntnis unterstützen auch externe Studien, etwa von Pew Research – dort war von lediglich 1 % Klickrate in AI-Overviews die Rede.
Das mag erst niederschmetternd wirken, aber es gibt eine positive Kehrseite: Der Informationsraum wächst. Menschen nutzen Google nicht weniger, sondern zusätzlich ChatGPT. Das bedeutet: mehr Touchpoints, mehr visuelle Präsenzmöglichkeiten, aber weniger direkte Besuche.
Wie du jetzt reagieren solltest
Viele Teams, die sich bisher auf organischen Traffic oder klassische SEO konzentriert haben, stehen plötzlich vor der Frage: Lohnt sich der Aufwand noch? Ich meine ja – aber nur, wenn man seinen Ansatz ändert. Statt auf Besucherströme zu schielen, solltest du auf Markenpräsenz und „LLM-Visibility“ optimieren.
1. Akzeptiere: LLM-Traffic = 0
Setze ihn in deiner Planung auf null. Wenn dann etwas kommt, ist es Bonus. So vermeidest du Enttäuschungen und fokussierst deine Strategie automatisch auf Werthaltigkeit statt Volumen.
2. Messe die Präsenz, nicht die Klicks
Achte darauf, wie oft deine Marke in Antworten, Zitationen oder Zusammenfassungen auftaucht. Beobachte saisonale Trends und Branchenunterschiede. Das gibt dir ein besseres Gefühl für den wahren Einflussbereich.
3. Mentions sind Gold wert
Ein bloßer Markenname, der in einer KI-Antwort erscheint, kann ähnlich nachhaltig wirken wie ein klassischer Backlink früher. Der Nutzer speichert das Unternehmen – unbewusst oder bewusst – als Wissensquelle ab.
4. Investiere dort, wo LLMs mitlesen
Die Modelle trainieren aktiv auf Inhalten aus offenen Plattformen: Reddit, YouTube, Community-Foren, Bewertungsseiten. Wenn du dort präsent bist, erhöht das die Wahrscheinlichkeit, dass dein Content indirekt in Antworten vorkommt. Es ist quasi „SEO für KI“, nur ohne das klassische Ranking.
Neue Kennzahlen für eine neue Zeit
Ich habe mit einigen Unternehmen gearbeitet, die ihre Erfolgsmessung inzwischen komplett umgestellt haben. Statt zu fragen, wie viel Traffic von ChatGPT kam, messen sie, wie oft das Unternehmen in generierten Texten, Overviews oder Threads erwähnt wird. Sichtbarkeit ohne Klick also – aber eben Sichtbarkeit mit Markenwirkung.
Man kann das natürlich zynisch sehen: Was bringt Sichtbarkeit, wenn keiner klickt? Doch wer so denkt, verpasst den übergeordneten Wandel. Informationszugang wird zunehmend dialogorientiert. Man ist nicht mehr der Empfänger eines Suchergebnisses, sondern Teil einer Antwort. Dort als Marke stattzufinden, ist eine völlig neue, aber entscheidende Kunst.
Warum der Blick auf den Gesamtmarkt entscheidend bleibt
In meinen Augen darf man LLM-Zahlen nie isoliert betrachten. Sie hängen direkt mit zwei Variablen zusammen: dem generellen Suchvolumen (der Größe des „Kuchens“) und der Zahl der Zitationen. Nur so erkennt man, ob ein Rückgang an Klicks tatsächlich ein Problem ist – oder schlicht das neue Normal.
Wenn Gesamtzitationen sinken, schrumpft der Markt. Wenn sie stabil bleiben oder steigen, während dein Anteil fällt, dann hast du ein Relevanzproblem. Klingt hart, aber diese Unterscheidung ist entscheidend für die Zukunft der organischen Sichtbarkeit.
Was von der Hoffnung bleibt
Vor einem Jahr dachten viele, LLMs würden zum nächsten großen Traffic-Lieferanten werden. Heute wissen wir: Das war ein Trugschluss. Diese Tools sind keine Suchmaschinen, sondern Antwortmaschinen. Sie liefern Sichtbarkeit, keine Besucherströme. Wer das begreift, kann die Zeichen deuten und den Wandel aktiv gestalten.
Ich glaube, wir müssen lernen, in Präsenz statt Performance zu denken. Deine Marke muss dort sein, wo Fragen gestellt werden – im Prompt, in der Antwort, in der Datenbasis. Der Klick ist nur noch Bonus.
Fazit: Baue auf Sichtbarkeit, nicht auf Wunder
Wenn du langfristig erfolgreich sein willst, vergiss die Illusion stabiler LLM-Traffic-Zahlen. Stattdessen braucht es strategische Geduld, Datentransparenz und vor allem die Bereitschaft, den eigenen Erfolg neu zu definieren. Traffic ist Schnee von gestern – Sichtbarkeit ist die Sonne, unter der zukünftiges Wachstum gedeiht.
Ich habe es selbst erlebt: Die Teams, die früh ihre KPIs und ihr Mindset angepasst haben, stehen heute erstaunlich entspannt da. Wer dagegen stur an alten Metriken festhält, wird weiter frustriert auf sinkende Graphen starren. Und vielleicht passt dieser Satz auf die gesamte Branche: Wir verlieren Klicks, aber wir gewinnen Reichweite – wir müssen nur lernen, sie anders zu lesen.