Es ist schon verrückt, wie ganze Märkte entstehen, weil Investoren auf der Jagd nach dem nächsten Hype sind – und wie leicht man dabei das eigentliche Potenzial übersieht. Genau das ist beim Thema AI Visibility Monitoring passiert. Alle wollten wissen, wie ihre Marke in ChatGPT oder Perplexity vorkommt, während die wahren Innovationen – jene, die tatsächlich Ergebnisse liefern statt nur Daten anzuzeigen – langsam, fast unscheinbar ihr Fundament gebaut haben.
Warum „LLM Monitoring“ nur die Oberfläche war
Im Grunde begann alles mit einer simplen Frage, die sich plötzlich in jeder C‑Suite stellte: „Wie erscheint unsere Marke in den Antworten von ChatGPT?“ Dieses Bedürfnis war real, keine Frage. Doch das Produkt, das daraus entstand – reine Monitoring Tools – war austauschbar. Wenn du so ein Dashboard abschaltest, verlierst du vielleicht ein paar hübsche Graphen, aber dein Geschäft läuft weiter. Kein Kunde ruft panisch an, weil etwas stillsteht.
Ganz anders sieht es bei agentischen SEO‑Systemen aus. Sie automatisieren Prozesse, generieren Content, verteilen ihn, werten ihn aus – sie steuern den Motor, statt nur die Temperatur zu messen. Sobald du ein solches System entfernst, bleiben Workflows stehen. Und genau das ist die Art von Schmerz, die aus Kundensicht Bindung schafft. In meiner Erfahrung ist das einer der besten Indikatoren für ein nachhaltiges Geschäftsmodell.
Das Geld floss in die falsche Richtung
Interessanterweise zeigten die Investitionsdaten genau das Gegenteil: Hunderte Millionen flossen in hübsche LLM-Dashboards. Venture Capital liebte den Gedanken eines skalierbaren SaaS‑Produkts mit 90 % Marge, keinem Implementierungsaufwand, keiner Berührung mit echten Geschäftsprozessen. Aber am Ende sind solche Tools reine „Beobachter“, keine „Akteure“.
Das erklärt, warum viele Monitoring‑Startups 2024 und 2025 viel zu früh riesige Summen einsammelten – weil es nach schneller Skalierung aussah. Doch der Markt lernt gerade: insight‑basierte Produkte mögen sexy pitchen, aber execution‑basierte Produkte überleben. Die einen zeigen dir, wo du stehst, die anderen bringen dich vorwärts.
Agentic SEO – die eigentliche Revolution
Unter „agentisch“ versteht man Systeme, die Aktionen selbstständig ausführen – neue Inhalte erstellen, strukturierte Daten anreichern, Backlinks prüfen, Rankings anpassen. Diese Tools erfordern Integration, Kontext und Verständnis deiner Marke. Und genau deshalb besitzen sie hohe Eintrittsbarrieren und echte Verteidigungsmoats. Solche Technologien wirken auf Investoren anfangs unsexy, fast zu komplex. Doch sie lösen reale Engpässe – und das bleibt bestehen, wenn der Hype vorbei ist.
Warum die nächsten 18 Monate entscheidend werden
Wenn man sich die Finanzierungsrunden ansieht, laufen bei vielen LLM‑Monitoring‑Startups die Mittel Mitte 2026 aus. Um neue Runden aufzunehmen, müssten sie inzwischen ein Vielfaches ihres Umsatzes erreicht haben. Das Problem: Viele liefern nur austauschbare Visualisierungen, Features, die kostenlose Anbieter längst kopiert haben. Deshalb wird ein großer Teil dieser Firmen entweder übernommen oder verschwindet still.
Für etablierte Player wie Semrush oder Ahrefs ist das Ganze dagegen ein reines Feature. Sie können Monitoring dazupacken, ohne Strategiewechsel. Ihr Risiko liegt eher in der Trägheit – das Umstellen von reiner Analyse (Read‑Model) hin zu aktiver Steuerung (Write‑Model) ist technisch und organisatorisch anspruchsvoll. Doch sobald sie diesen Schritt meistern, kippt das Spielfeld komplett zugunsten der Plattformanbieter.
Das Spiel um den „Execution Layer“
Die entscheidende Innovation liegt nicht in neuen Dashboards, sondern im Delivery‑Layer: Systeme, die automatisch Inhalte erstellen, optimieren, an verschiedene Kanäle ausspielen und Feedback‑Schleifen schließen. Drei Fähigkeiten entscheiden hier über Sieg oder Niederlage:
- Geschwindigkeit: Wer Content gleichzeitig für Google, Reddit, TikTok oder Quora ausspielt, gewinnt Zeit und Reichweite.
- Kontextverständnis: Agentische Tools müssen deine Markenlogik verstehen – nicht generische Texte produzieren, sondern an das Ökosystem deiner Sprache anschließen.
- Orchestrierung: Große Organisationen brauchen Governance. Systeme, die Workflows, Freigaben und Qualitätssicherung automatisieren, ersetzen ganze Agenturstrukturen.
Die wahren Gewinner werden Plattformen sein, die solche Prozesse tief in die Unternehmensinfrastruktur integrieren. Sie richten sich nicht an Hobby‑SEOs, sondern an Marketingabteilungen, die Automatisierung operationalisieren müssen.
Was das für Agenturen und Fachleute bedeutet
Wenn du in einer SEO‑Agentur arbeitest, spürst du wahrscheinlich schon, wie die Aufträge sich verändern. Routinejobs – Keyword‑Templates, Metatexte, einfache Analysen – werden automatisiert. Dafür wächst der Bedarf an strategischer Steuerung und Technologieintegration. In anderen Worten: weniger manuelle Recherche, mehr Systemarchitektur. Wer heute lernt, agentische Systeme zu bedienen oder zu erweitern, sichert seine Relevanz für das nächste Jahrzehnt.
Ich habe neulich mit einem Berater gesprochen, der über ein Dutzend Kunden hinweg dieselben Automations‑Pipelines aufbaut – Content‑Ideation, Writer‑Agent, Validator, Publisher. Früher hätte das Wochen pro Kunde gebraucht. Heute läuft es nahezu in Realzeit. Das ist, was „Execution Velocity“ in der Praxis heißt.
Der größere Kontext: Vom semantischen zum agentischen Web
Seit den frühen 2000er‑Jahren sprachen wir vom „Semantic Web“. Jetzt, endlich, geschieht es wirklich – jedoch nicht über manuelle Ontologien, sondern über lernende Systeme, die Konzepte verstehen und eigenständig kombinieren. Mit jeder API‑Verknüpfung, jedem Content‑Workflow nähern wir uns einem Netz aus kooperierenden Agenten. Die Grenze zwischen Content‑Management‑System, Suchmaschine und KI‑Assistent verschwimmt.
Das ist auch der Grund, warum Standard‑Monitoring an Bedeutung verliert. Sobald Agenten Inhalte erzeugen, prüfen und wieder auslesen, entstehen selbstregulierende Ökosysteme. Man muss nicht mehr überwachen, was passiert, sondern steuern, wie es passiert.
Der Marktwert hinter der Verschiebung
SEO war lange ein 100‑Milliarden‑Geschäft – zur Hälfte Tools, zur Hälfte Services. Aber der größte Teil dieser Services besteht aus Menschenzeit, aus wiederholbaren Tätigkeiten, die KI heute schneller kann. Dieses Beratungsvolumen, etwa 50 Milliarden Dollar, steht bereit, durch Automatisierung umgeschichtet zu werden. Wer also Lösungen liefert, die ganze Agenturleistungen produktisieren, erschließt ein enormes Potenzial.
Und man sieht schon die ersten Effekte: Content‑basierte SEO‑Jobs in Unternehmen gingen 2024 stark zurück, während Führungs‑ und KI‑Integrationsrollen zunahmen. Unternehmen investieren nicht weniger in SEO, sondern anders – mehr Budget in Tools, weniger in manuelle Arbeit.
Wie du davon profitieren kannst
Wenn du Tools bewertest
Frag dich künftig drei Dinge:
- Ersetzt das Tool einen operativen Engpass oder liefert es nur hübsche Graphen?
- Automatisiert es echte Arbeit oder erzeugt es neue manuelle Aufgaben?
- Lässt sich dieselbe Funktion in Kürze von einem etablierten Anbieter nachbauen?
Wenn die Antworten „Information, Manuell, Ja“ lauten – lieber Finger weg. Produkte mit echter Klebrigkeit sitzen tief in den Workflows und lassen sich nicht einfach ersetzen.
Wenn du investierst
Kapital wird sich neu sortieren. Das Narrativ der „AI Visibility“ ist an seinem Höhepunkt, und die Rückkehr zur Realität steht bevor. Wert entsteht dort, wo Firmen Prozesse automatisieren, Kosten senken und Sprachen, Marken und Kanäle verstehen. Genau diese Nische – Execution & Integration – bleibt unterfinanziert, obwohl sie die Basis der nächsten Plattformgeneration bildet.
Ein einfacher Test: Stell dir vor, wie schwer wäre es für Semrush, dieses Produkt selbst zu bauen? Wenn die Antwort lautet „ein Plugin“, ist es kein Investment. Wenn dafür tiefes System‑Re‑Engineering nötig wäre, entsteht ein Burggraben.
Wenn du baust
Denk weniger in Kategorien („Monitoring“, „Content AI“) und mehr in Arbeitsabläufen. Die entscheidende Frage lautet: Wie unersetzlich werde ich im Alltag meiner Nutzer? Nur wer tief integriert ist, bleibt. Für reine Beobachtungstools läuft die Uhr – maximal 18 Monate, um ein Ausführungs‑Modul nachzuschieben oder verkauft zu werden.
Mein Fazit
Der wahre Sprung nach vorn passiert nicht an der Oberfläche der Daten, sondern in der Tiefe der Prozesse. Wir stehen an einem Schwellenmoment, in dem SEO vom Analysieren zum Handeln übergeht. Firmen, die Inhalte verstehen, erzeugen und steuern können, werden den nächsten Such‑Zyklus dominieren. Alle anderen bleiben Beobachter – mit hübschen Dashboards, aber ohne Einfluss.
Vielleicht ist das Fazit also simpel: Das Alpha liegt nicht im Beobachten, sondern im Tun.