Wenn man ehrlich ist, war diese Woche für alle, die sich mit SEO und KI beschäftigen, eine interessante Mischung aus Fortschritt und Nachdenklichkeit. Drei Entwicklungen sind besonders hängengeblieben: OpenAI bringt Shopping Research in ChatGPT, eine umfangreiche Studie deckt auf, welche Faktoren KI-Zitationen wirklich steuern – und John Mueller von Google erläuterte, warum selbst große Hintergrundvideos kaum SEO-Risiken bergen. Zusammen betrachtet ergibt sich ein klares Bild: Die Art und Weise, wie Entdeckung, Bewertung und Entscheidung digital stattfinden, hat sich deutlich verschoben – weiter nach oben im Funnel, also bevor Nutzer überhaupt aktiv suchen.
ChatGPT wird zum Einkaufsberater
OpenAI hat das neue Feature „Shopping Research“ für alle Nutzer freigeschaltet – egal, ob sie im Free-, Plus- oder Pro-Modell sind. Im Prinzip funktioniert es wie ein persönlicher Einkaufsberater: Du beschreibst, was du suchst – sagen wir, „eine leichte Wanderausrüstung unter 500 Euro“ – und ChatGPT stellt gezielte Rückfragen zu Budget, Stil oder Verwendung. Nach wenigen Minuten kommt ein vollständiger, strukturiert aufgebauter Kaufleitfaden zurück. Das Ganze basiert auf GPT‑5 mini und greift auf eine Art geprüften Produktpool zu, in den Händler aktiv aufgenommen werden können. Diese „Allowlisting“-Funktion ist ein wichtiger Punkt: Sichtbarkeit erhält nur, wer sich dafür öffnet.
Für SEO-Verantwortliche ist das spannend, aber auch ein wenig beunruhigend. Der klassische Ablauf – jemand sucht bei Google, landet auf Vergleichsseiten und bewegt sich dann durch Rezensionen – verschiebt sich. Jetzt entsteht die Entscheidung im Chat. Das bedeutet, deine Marke oder dein Produkt können zwar noch berücksichtigt werden, aber nur, wenn sie in den Daten von OpenAI auffindbar sind und klar erkennbar zur Suchabsicht passen. Crystal Carter von Wix brachte es in einem Beitrag treffend auf den Punkt: Wer seine Markenwerte, Community-Bezüge und fachlichen Claims nicht sauber auf der eigenen Website verankert, verliert Sichtbarkeit in solchen Modellen. „Die Kunden bauen diese Präferenzen in ihre Modelle ein“, schrieb sie sinngemäß – und sie hat recht.
Was das konkret für dich heißt
Für Shops, Marken und Affiliates ist ChatGPTs Shopping‑Funktion ein neues Spielfeld. Es reicht nicht mehr, nur SEO‑signifikant aufzutreten; du musst sicherstellen, dass deine Produktdaten strukturiert, zugänglich und semantisch nachvollziehbar sind. Wenn OpenAI eher redaktionelle Signale als Rohdaten nutzt, zählen Reputation, Nutzwert und die Klarheit deiner Sprachmodelle mehr denn je. Interessanterweise fühlt sich dieses System fast an wie eine Mischung aus SEO und PR: Je glaubwürdiger und konsistenter deine digitalen Signale – Rezensionen, Erwähnungen, Zitate – desto eher landest du in der Auswahl.
Eine Studie zeigt: Autorität bleibt König – auch in der KI
Eine besonders umfangreiche Analyse von SE Ranking hat untersucht, was wirklich bestimmt, ob ChatGPT auf Inhalte verweist. Über 216.000 Seiten und rund 129.000 Domains hinweg wurden Kategorien und Korrelationen ausgewertet. Dabei zeigte sich ein recht eindeutiges Muster: Die Zahl der verweisenden Domains ist der stärkste Einzelindikator für Zitationswahrscheinlichkeit. Seiten mit rund 2.500 Backlinks erhalten im Schnitt etwa 1,7 Erwähnungen, Domains mit mehr als 350.000 (!) Backlinks im Schnitt über acht. Das ist gewaltig.
Aber auch andere Faktoren spielen mit: Content‑Länge, Datenfülle, Domain‑Traffic. Artikel mit über 2.900 Wörtern lagen klar vorn, ebenso Inhalte mit reichem Zahlen- oder Faktenanteil. Dagegen haben Publikationen unter 800 Wörtern deutlich geringere Chancen auf Erwähnung. Besonders interessant ist die Erkenntnis, dass erst ab etwa 190.000 monatlichen Besuchern ein signifikanter Sprung in der Zitationsrate einsetzt. Darunter tut sich kaum etwas – unabhängig davon, ob du 200 oder 20.000 Besucher hast.
SEO bleibt Basis, aber Schwellenwerte verschieben sich
Diese Ergebnisse sind fast schon eine kleine Ohrfeige für „klassisches“ Denken. Während man bisher in stetigen, kleinen Optimierungen dachte, scheint ChatGPT erst ab einem bestimmten Niveau überhaupt aufmerksam zu werden. Ich habe selbst mit KI‑Erwähnungen experimentiert und ähnliche Beobachtungen gemacht: Es ist weniger relevant, ständig neue Artikel zu publizieren, als vielmehr, Autoritätssignale zu akkumulieren – also Backlinks, strukturierte Daten, Community‑Trust. Man könnte sagen, KI‑Systeme funktionieren aktuell wie ein sehr strenger Journalistenpool: Sie zitieren bekannte Namen lieber als neue Stimmen.
Eine zweite bemerkenswerte Schlussfolgerung der Studie betrifft Plattformpräsenz. Ein hoher Anteil an Erwähnungen stammt von Domains, die stark auf Foren oder User‑Generated‑Content setzen – Quora, Reddit oder Bewertungsportale. Dort ergibt sich nicht nur organische Reichweite, sondern auch die Art von Kontext, die ChatGPT „versteht“ und wiederverwendet. .gov- oder .edu‑Adressen schneiden hingegen nicht automatisch besser ab. Qualität und Autorität haben mehr Gewicht als reine Domainendung.
Wenn man das zusammennimmt, baut sich ein Bild auf: SEO ist nicht tot, nur verschoben. Das, was du bislang als „gute Sichtbarkeit bei Google“ verstanden hast, ist in der KI‑Landschaft erst der Startpunkt. Entscheidungen über Zitationen beruhen auf einem Schwellenmodell: kein linearer Lohn für jede Optimierung, sondern Sprünge bei bestimmten Grenzwerten.
Google-Insight: Hintergrundvideos müssen kein SEO-Risiko sein
John Mueller von Google hat diese Woche wieder einmal ein umstrittenes Thema entzaubert. Ein Nutzer auf Reddit fragte, ob ein 100‑MB‑Video im Seitenhintergrund seine SEO schädigen könnte, selbst wenn die Hauptinhalte vorher geladen werden. Muellers Antwort: Solange die sichtbaren Inhalte zuerst erscheinen, sieht er keinen messbaren Einfluss. Das klingt banal, ist aber in der Praxis Gold wert – schließlich setzen immer mehr Seiten auf Bewegtbild im Header oder in Sektionen mit Parallax‑Effekt.
Was im Kern zählt, ist der Ladefluss. Wird das HTML‑Gerüst früh ausgeliefert und das Video mit „preload=none“ später nachgeladen, bleibt die Seitenperformance aus Sicht der Suchmaschine stabil. Core Web Vitals messen die Nutzererfahrung – also wie schnell sichtbare Bereiche komplett sind – und nicht, wie lange Hintergrundprozesse laufen. Die Empfehlung lautet daher: Sorge dafür, dass Text, Navigation und erste Bilder sofort rendern, und überlasse den restlichen Datenverkehr dem Browser. Wer möchte, kann mit Tools wie Lighthouse oder WebPageTest prüfen, ob die Ressourcenzuteilung stimmt.
Die Diskussion auf Reddit zeigte allerdings auch: Die Entwicklergemeinde ist sich uneins. Einige sahen Muellers Position als zu optimistisch, weil große Mediendateien trotzdem Bandbreite blockieren könnten. Andere – und da zähle ich mich dazu – halten seinen Rat für praxisnah. In einer Welt, in der visuelle Erlebnisse immer wichtiger werden, ist es beruhigend zu wissen, dass man Ästhetik und Performance nicht gegeneinander ausspielen muss.
Was diese Woche verbindet: Entscheidungen fallen früher
Wenn man all diese Themen nebeneinanderlegt, ergibt sich eine bemerkenswerte Linie. Entscheidungen rutschen vorgelagert. ChatGPT löst Produktempfehlungen aus, bevor Nutzer auf einen Shop klicken. Die großen SEO‑Zitierfaktoren zeigen, dass Autorität im Vorfeld zählen muss. Und Google macht klar: Technische Spielräume werden toleranter, solange Nutzer zuerst eine funktionierende Seite wahrnehmen. Der Aufwand verlagert sich – weg vom reinen Rankingkampf, hin zur Markenbildung, Inhaltsqualität und Nutzerzentrierung.
Ich habe oft den Eindruck, dass viele Marketer noch an den alten Denkmustern festhalten: Traffic, Klickpfade, Conversion. Aber in der KI‑gestützten Suche muss das Ziel lauten, Vertrauen vorzuproduzieren. Menschen wie Maschinen treffen Vorauswahlen, lange bevor sie die Suchleiste öffnen. Sichtbarkeit hängt dann nicht mehr davon ab, wer die beste Keyword‑Dichte hat, sondern wer als glaubwürdig und hilfreich gilt – algorithmisch wie emotional.
Ein paar Gedanken zum Abschluss
Aus meiner Sicht sind diese drei Entwicklungen kein Zufall, sondern ein Zusammenspiel. OpenAI experimentiert damit, was Google jahrelang perfektioniert hat: Kaufentscheidungen in Suchprozesse einzubetten. Die SEO‑Community reagiert, indem sie versucht, neue Signale für Autorität zu quantifizieren. Und Google wiederum lockert an genau der Stelle die Zügel, an der Designer und Marken ihre visuelle Handschrift ausprägen wollen. Das alles könnte man fast als neue Balance zwischen Funktion, Glaubwürdigkeit und Erleben bezeichnen.
Was du als SEO daraus mitnehmen kannst: Konzentriere dich darauf, dass dein Content so gut und so nützlich ist, dass er kaum übersehen werden kann – ganz egal, ob von Google, ChatGPT oder einem anderen System verarbeitet. Strukturiere deine Daten, achte auf Referenzen, fördere Diskussion über deine Themen. Und prüfe regelmäßig, wie deine Marke dort sichtbar ist, wo Entscheidungen tatsächlich entstehen – vielleicht längst bevor jemand „dein Keyword“ eingibt.
Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis dieser Woche: Entdeckung passiert nicht mehr nur auf der Suchergebnisseite. Sie beginnt im KI‑Modell, im sozialen Feed, in der Empfehlung eines digitalen Assistenten. Wer das versteht, spielt das neue Spiel nach eigenen Regeln – und nicht mehr nach den alten von gestern.