Wenn man sich die letzten Monate anschaut, wird eines ziemlich klar: Google will zeigen, dass künstliche Intelligenz den Suchprozess nicht ersetzt, sondern ausweitet. In den Quartalszahlen für das dritte Quartal 2025 wurde das besonders deutlich – und zwischen all den Zahlen, Diagrammen und Investorenfloskeln steckt eine Botschaft, die auch für dich als Marketer oder SEO‑Profi relevant ist. Es geht um Wachstum, Wandel und darum, wie sich die Suche selbst neu erfindet.
Ein ungewöhnlich starkes Quartal
Google hat zum ersten Mal in seiner Geschichte einen Umsatz von über 100 Milliarden US‑Dollar in einem Quartal erreicht. Das ist eine symbolische Marke, die zeigt, wie stark das Kerngeschäft – also Suche und Werbung – weiterhin performt. Davon entfallen 56,6 Milliarden Dollar auf klassische Suchanzeigen, knapp sieben Milliarden mehr als im Vorjahr. YouTube hat ebenfalls zugelegt, mit Werbeeinnahmen von über zehn Milliarden Dollar.
Natürlich steckt hinter diesen Zahlen viel Marketingmathematik, doch was für uns wirklich interessant ist, ist der Trend dahinter: Die Suche wächst wieder schneller. Nach Jahren, in denen Wachstum prozentual kaum spürbar war, zeigt sich jetzt eine Beschleunigung, die eng mit den neuen KI‑Funktionen zusammenhängt.
AI Mode & AI Overviews: Zwei Zahnräder im neuen Suchsystem
Wenn man von „AI Mode“ spricht, meint Google die erweiterte Suchansicht, die Nutzer aktiv einschalten können, um komplexere Aufgaben anzugehen – etwa das Formulieren von E‑Mails oder die Zusammenstellung von Reiseplänen direkt in der Suche. Diese Funktion war zunächst testweise in den USA aktiv und wurde dann auf über 40 Sprachen ausgerollt. Laut Google verdoppelten sich die Suchanfragen in diesem Modus allein im dritten Quartal. Weltweit greifen inzwischen mehr als 75 Millionen Menschen täglich darauf zu.
AI Overviews hingegen – die farbigen Textboxen mit KI‑Antworten über den organischen Ergebnissen – sind für die Nutzer kaum zu übersehen. Google beschreibt sie als „Suchmomente, die neue Fragen erzeugen statt bestehende zu ersetzen“. Laut Sundar Pichai, dem CEO, sei der Effekt dieser KI‑Antworten sogar „noch stärker“ geworden, insbesondere bei jüngeren Zielgruppen, die diese Art der Suche intuitiver nutzen.
Das klingt zunächst wie eine Verteidigungsstrategie gegenüber den Vorwürfen, KI‑Antworten würden den Traffic zu Websites schmälern. Tatsächlich argumentiert Google, dass diese Features „billionenfach Klicks auf Seiten“ generieren und damit den gesamten Suchprozess vergrößern.
Der zentrale Punkt: Wachstum statt Ersatz
Aus meiner Sicht steckt darin eine interessante Verschiebung. Die bisherige Sorge vieler SEO‑Profis war berechtigt: Wenn eine KI auf der Suchseite schon alles beantwortet – wozu soll jemand noch auf eine Website klicken? Doch Google stellt den Verlauf genau andersherum dar. Laut ihren internen Daten steigen sowohl die Gesamtzahl der Suchanfragen als auch der Anteil kommerzieller Queries, also solcher, bei denen Nutzer mit höherer Kaufabsicht suchen.
Diese Perspektive ergibt im derzeitigen Marktumfeld durchaus Sinn. Statt einzelne Klicks zu verlieren, verschiebt sich die Art, wie Menschen suchen – hin zu mehr dialogartigen Sessions. Der einzelne Nutzer interagiert öfter, fragt nach, verfeinert Suchbegriffe oder nutzt ergänzende Filter. Das sind mehrere Suchvorgänge, wo früher nur einer stattfand. Dieses Verhalten treibt das Wachstum mit an.
Mehr Sitzungen, nicht weniger Klicks
Die AI‑Funktionen verlängern also die Nutzung selbst. Nutzer experimentieren, vergleichen, prüfen – und das schafft wiederum neue Berührungspunkte für Anzeigen und organische Treffer. Für Werbetreibende bleibt Google dadurch ein attraktiver Kanal. Und das ist es, was Anleger hören wollten: keine Kannibalisierung, sondern ein umsatzfördernder Wandel.
Hinter den Zahlen: ein technisches Großprojekt
Dass Google von einem „expansionary moment“ spricht, klingt fast pathetisch. Aber man sollte den technischen Aufwand nicht unterschätzen. Im dritten Quartal allein hat das Unternehmen über 100 Verbesserungen im AI Mode ausgerollt. Dazu gehört auch die tiefere Integration in Chrome, das Google inzwischen offen als „Browser powered by AI“ bezeichnet. Wer Chrome nutzt, bemerkt bereits, dass Suchvorschläge und Formulierungshilfen zunehmend auf Gemini‑Modelle zugreifen. Nächstes großes Update: Gemini 3, das laut Pichai gegen Ende des Jahres erscheinen soll.
Damit verbunden ist eine gigantische Investition: Die geplanten Ausgaben für Infrastruktur liegen bei bis zu 93 Milliarden US‑Dollar. Dieses Kapital fließt hauptsächlich in Rechenzentren, Chips und Cloud‑Kapazitäten, um die wachsende Nachfrage nach KI‑gestützten Diensten überhaupt bedienen zu können. Es zeigt aber auch, dass Google mit Hochdruck darauf setzt, KI im Gesamterlebnis der Suche zu verankern – und nicht nur als Gimmick am Rand.
Was bedeutet das für dich als Marketer oder SEO?
Ganz praktisch betrachtet heißt das vor allem eins: Beobachten, messen und anpassen. Google liefert bislang keine detaillierten Reports darüber, wie viel Traffic tatsächlich aus den AI‑Bereichen kommt. Kein offizielles Tracking, keine klaren Klickdaten – jedenfalls noch nicht. Das zwingt Marketing‑Teams dazu, eigene Messpunkte zu setzen. Wer jetzt nur auf traditionelle Rankings schaut, sieht vielleicht nicht, dass Nutzer über ganz andere Einstiege zu einem gelangen.
Man kann das mit dem Übergang zu Mobile Search vergleichen: eine Phase voller Unsicherheit, in der Metriken plötzlich nicht mehr eindeutig waren. Auch jetzt entsteht ein blinder Fleck zwischen Impression und Interaktion. Die Aufgabe ist es, ihn mit eigenen KPIs zu füllen – sei es über Session-Daten, Scroll-Verhalten oder sekundäre Conversions, die über KI‑Empfehlungen getriggert werden.
Erste Anpassungen in der Strategie
Aus meiner Erfahrung sieht man in vielen Teams, dass sich Content‑Strategien bereits leise verschieben. Statt sich nur auf Keywords zu konzentrieren, achten Publisher mehr auf kontextuelle Relevanz und die Struktur der Inhalte. Denn AI Overviews wählen Passagen nicht nach exakter Übereinstimmung, sondern nach semantischem Bezug aus. Formatierung, klare Kernaussagen und vertrauensbildende Elemente – all das gewinnt wieder an Bedeutung.
Zudem spielt Autorität (E‑E‑A‑T) eine größere Rolle als je zuvor. Google betont, dass seine KI die Quellen priorisiert, denen Nutzer „vertrauen würden“. Das bedeutet, Markenwahrnehmung fließt nun direkt in die Sichtbarkeit ein. Kurz gesagt: Markenaufbau wird Suchstrategie.
Die finanzielle Perspektive: Warum Google das durchziehen wird
Wenn man sich den Gesamtumsatz anschaut, wird schnell klar, dass Google sich diese AI‑Offensive leisten kann – und leisten muss. Suchwerbung bleibt das Rückgrat: jeder Schritt, der die Nutzung steigert, zahlt sich aus. Gleichzeitig müssen die Investitionen in KI‑Modelle irgendwann Rendite bringen. Search ist dabei die natürlichste Spielwiese, weil hier das Nutzerverhalten am detailliertesten messbar ist.
Pichai sagte sinngemäß, dass sich die Suchnutzung „in einem neuen Zyklus von Expansion“ befinde. Für Anleger klingt das nach Wachstum; für uns Praktiker heißt es, dass sich die Spielregeln wieder ändern. Wer früh versteht, wie Inhalte in AI‑Overviews landen, verschafft sich denselben Vorteil wie damals bei der Umstellung auf Mobile‑First‑Indexing.
Offene Fragen – und worauf man achten sollte
Trotz aller Euphorie bleiben einige Punkte vage. Zum Beispiel, welche Inhalte bevorzugt in den Overviews auftauchen und wie stabil diese Platzierungen sind. Noch beobachte ich, dass Ergebnisse stark schwanken – mal dominiert Wikipedia, mal eine Nischenwebsite, die relevant, aber kaum bekannt ist. Das deutet darauf hin, dass Googles Modelle noch experimentieren.
Auch der Datenschutz wird Thema bleiben. KI‑Ergebnisse basieren auf riesigen Mengen aus öffentlichem und proprietärem Material. Wie Google die Balance zwischen Urheberrechten und Training hält, wird rechtlich heikel. Bisher verweist das Unternehmen nur auf „faire Nutzung“ und Partnerschaften mit großen Publishern. Für kleinere Seiten ist das jedoch wenig transparent.
Ein Blick nach vorn: Gemini 3 und die nächste Suchgeneration
Google pinnt große Hoffnungen an Gemini 3. Das Modell soll multimodaler, kontextbewusster und sparsamer im Energieverbrauch sein. Für die Suche hieße das: komplexere, „agentische“ Interaktionen. Man wird also bald sehen, wie sich Content‑Strategie und KI‑Nutzung noch stärker verweben – etwa, wenn Suchergebnisse automatisch Handlungsschritte auslösen können (Buchungen, Reservierungen, Code‑Snippets usw.).
Chrome wiederum wird zu einem Testlabor für diese Agentenfunktionen. Schon jetzt kann man in den Beta‑Versionen beobachten, dass Formulare automatisch ausgefüllt und Webseiten zusammengefasst werden. Google betont, dass „das Web im Mittelpunkt“ bleibt – doch realistisch betrachtet wird das Surfverhalten noch tiefer in die eigene Plattform integriert.
Was bedeutet das langfristig?
Meiner Meinung nach verschiebt sich die Suchlandschaft in Richtung einer Hybrid‑Experience: halb Chat, halb klassische Ergebnisse. Für Endnutzer ist das bequemer, für Websitebetreiber aber herausfordernd. Wer künftig gefunden werden will, muss sowohl algorithmisch relevant als auch dialogtauglich sein. Das heißt: Inhalte müssen so aufgebaut sein, dass eine KI sie sinnvoll zitieren und zusammenfassen kann.
Das erinnert ein wenig an den Übergang von Desktop zu Mobile – auch damals ging es weniger um völlig neue Regeln, sondern um neue Erwartungen. Wer früh experimentiert, wird später profitieren. Gerade deshalb lohnt es sich, diese Entwicklungen ernst zu nehmen und eigene Tests zu fahren, zum Beispiel mit AI‑Annotations in der Google Search Console oder durch strukturierte Daten, die KI‑Systeme leichter interpretieren können.
Fazit: Eine neue Suchära, aber keine Katastrophe
Nach allem, was Google im Q3 berichtet hat, stehen die Zeichen klar auf Expansion. Die KI‑Features sind keine Bedrohung für die Suche selbst, sondern werden zum Wachstumstreiber. Für dich bedeutet das: Anpassung statt Angst. Behalte deine Daten im Blick, beobachte, wie sich Nutzerströme verändern, und experimentiere ruhig mit neuen Formaten. Videos, FAQs, strukturierte Tabellen – alles, was Informationen schnell erfassbar macht, kann helfen, in den neuen Ergebnistypen stattzufinden.
Vielleicht ist es tatsächlich, wie Pichai es formulierte, ein „expansionary moment“. Aber Expansion heißt nicht Stillstand. Es ist Bewegung – und wer sich mitbewegt, hat in dieser neuen AI‑getriebenen Suchwelt die besten Chancen.