Google steht aktuell einer massiven Welle an Spam im Suchindex gegenüber. Und das, was viele dachten, sei Schnee von gestern – automatisch generierte Texte, gekaufte Links, recycelte Domains –, erlebt nun ein Comeback in nie dagewesener Intensität. Wer täglich in der SEO‑Praxis steckt, spürt es: Suchergebnisse wirken zunehmend vollgemüllt, während Googles einst eiserner Qualitätsanspruch bröckelt.
Von Algorithmen und Kontrollverlust
Vor einigen Jahren schien Google das Spam‑Problem im Griff zu haben. Updates wie Panda oder Penguin trafen manipulative Seiten hart, und der Respekt vor manuellen Maßnahmen war groß. Heute dagegen sieht vieles danach aus, als würde das Unternehmen von der schieren Masse automatisierter Inhalte überrannt. Seit KI‑Tools in atemberaubender Geschwindigkeit Texte generieren können, kippt das Verhältnis zwischen seriösem Content und algorithmischem Schaum immer stärker zugunsten des Letzteren.
Die ironische Pointe: Googles eigene Technologie, einst entwickelt, um Spammer zu bekämpfen, scheint nun dem Missbrauch Vorschub zu leisten. Statt qualitativ hochwertigen Content zu belohnen, landen oft automatisch generierte Artikel oder recycelte Domains ganz oben in den Ergebnissen. Das ist nicht nur frustrierend – es wirft Grundsatzfragen über die Zukunft der Suche auf.
Wie Googles Anti‑Spam‑System funktioniert – und warum es schwächelt
Das Werkzeug, das Googles Kampf gegen Spam steuern soll, heißt SpamBrain. Es basiert auf maschinellen Lernmethoden und einem neuronalen Netz, das mittels Tausender Signale entscheidet, ob ein Inhalt manipulativ ist. Es bewertet unter anderem:
- Inhalte – also Textdichte, Keywords, semantische Muster.
- Links – besonders Ankertexte und deren Wachstumsgeschwindigkeit.
- Reputation – Vertrauen in die Quelle, Domainhistorie, Erwähnungen.
- Nutzerverhalten – Klickmuster, Verweildauer, Bounce Rates.
Eigentlich ein ausgeklügeltes System. Doch das Problem liegt im Maßstab. KI kann in Sekunden tausende Seiten erzeugen, während Googles Filter – die zudem teure Rechenleistung verschlingen – längst nicht Schritt halten. Was früher manuell bewertet wurde, passiert nun maschinell, aber nicht unbedingt präziser. Und jede Fehleinschätzung vervielfacht sich, sobald sie algorithmisch festgeschrieben ist.
Neue Formen des Spams
1. Der KI‑Slop: endlose Mengen an Text ohne Wert
Schätzungsweise mehr als die Hälfte der neuen Inhalte im Netz stammt mittlerweile von Künstlicher Intelligenz. Ganze Fabriken churnen automatisch generierte Artikel – etwa zu Nischenthemen, bei denen Werbeerlöse winken. Die Texte klingen auf den ersten Blick sauber, enthalten aber kaum Fakten oder Autorität. Dennoch rutschen sie durch die Filter und belegen Platzierungen, die eigentlich qualitativ besseren Quellen zustehen müssten.
Es ist paradox: Google selbst warnt vor sogenannter scaled content abuse – und genau dieser Massen‑Output bringt das System an die Grenzen. Versatzstücke aus Wikipedia, Reddit und Nachrichtenseiten werden durch LLMs neu arrangiert, mit Affiliate‑Links versehen und massenweise veröffentlicht. Für Nutzer sieht das auf den ersten Blick „seriös“ aus, aber inhaltlich ist es leer.
2. Missbrauch abgelaufener Domains
Noch schlimmer ist der Trend, hochwertige alte Domains für neue Zwecke zu missbrauchen. Angenommen, eine seriöse Organisation löst ihre Website auf – ihre Domain bleibt aber mit Hunderten seriösen Backlinks im Netz. Cyber‑SEOs kaufen so etwas auf, verwandeln die Seite in ein Portal für Wetten, Krypto oder Diätpräparate und leiten die bestehende Autorität auf ihre kommerziellen Projekte um. Einmal eingebaut, vererbt sich die alte Glaubwürdigkeit an die neuen Inhalte, zumindest so lange, bis Google den Schwindel bemerkt. Doch das geschieht häufig zu spät.
Der Trick ist simpel: Die neuen Betreiber installieren dieselben URLs, kopieren ein paar alte Überschriften, lassen aber den Inhalt durch eine KI generieren. Die Backlinks bleiben aktiv – und schon taucht die Seite wieder auf den vorderen Plätzen der Suche auf. Das alles ist gegen die Regeln, funktioniert aber erstaunlich oft.
3. Private Blog Networks (PBN)
Wer mehrere solcher Domains besitzt, verknüpft sie zu einem privaten Netzwerk. Jedes PBN‑Mitglied hat eigenen Server, eigene IP‑Adresse und unverfängliche Inhalte. Gemeinsam pushen sie eine zentrale „Money Site“. Für Google sieht das aus wie eine natürliche Linklandschaft. Solange kein technischer oder inhaltlicher Zusammenhang entsteht, sind PBNs schwer zu entdecken. Und durch die neuen KI‑Generatoren lassen sie sich in Tagen statt Wochen aufbauen.
Vielleicht der bitterste Teil: Viele dieser Seiten veröffentlichen durchaus „nette“ Texte, nur eben völlig automatisch. Der Algorithmus differenziert kaum, ob etwas maschinell oder menschlich stammt – solange Engagement‑Signale passen. Klicks kann man simulieren; Verweildauer lässt sich mit Bots verlängern. Ergebnis: Ranking‑Vorteile für Spammer, Strafen für ehrliche Publisher.
Im Dunkeln bleibt der Algorithmus – aber es gibt Hinweise
Ein Blick auf mittlerweile aufgetauchte interne Daten deutet darauf hin, dass Google Spam vor allem über Linkdynamik erkennt: Wenn eine Domain plötzlich viele neue Backlinks mit identischen Ankertexten bekommt, wird ein Risikosignal aktiviert. Auch ungewöhnlicher Traffic aus Einzugsregionen, die mit dem Inhalt wenig zu tun haben, zählt dazu. Kurz gesagt: Geschwindigkeit und Muster zählen mehr als reine Menge.
Die traurige Konsequenz: Wer schnell wächst, aber legitim arbeitet – zum Beispiel durch viralen Content –, kann ebenfalls wie Spam aussehen. Wirklich sauber zu unterscheiden scheint das System derzeit nicht.
Warum Google das Problem kaum in den Griff bekommt
Vielleicht liegt die Ursache nicht nur in der Technik, sondern in der Priorität. Google investiert enorme Summen in KI‑Suche und generative Modelle, die bei jeder Eingabe komplette Antworten formulieren sollen. Diese sogenannten AI Overviews sind in der Herstellung dutzendfach teurer als klassische Suchanfragen. Ein „normaler“ Treffer mit zehn blauen Links kostet fast nichts; doch jeder KI‑Output beansprucht Serverfarmen, spezielle Chips und gigantische Strommengen.
Schätzungen zufolge geben Unternehmen wie Google oder Microsoft inzwischen fast das Doppelte dessen aus, was sie vor wenigen Jahren in ihre Infrastruktur investierten. Jeder Dollar, der dort landet, fehlt in der Pflege des klassischen Index. So entstehen Lücken – und die füllt der Spam.
Die Ironie ist also offensichtlich: Während Google versucht, die Zukunft der Suche neu zu erfinden, zerfranst der alte Kern des Produkts. Der Großteil der Nutzer sucht weiterhin ganz klassisch – und erhält zunehmend fehlerhafte, doppelte oder manipulative Ergebnisse.
Wie LLMs selbst neues Chaos erzeugen
Das Spam‑Problem endet nicht bei Google. Sprachmodelle, die ihre Informationen aus dem Netz beziehen, übernehmen dieselben fehlerhaften Inhalte unkritisch. Wenn ein KI‑Modell tausendfach auf denselben manipulierten Domainnamen stößt, integriert es ihn in sein Wissensmodell – und wiederholt die Falschinformation in jeder Antwort. So verfestigt sich Spam zu „Wahrheit“.
Einige findige SEOs haben diese Schwäche längst erkannt und experimentieren gezielt mit sogenannten AI injection techniques. Dabei platzieren sie markierte Begriffe oder Links in große Textmengen, um im Training von Modellen stärker präsent zu sein. Das neue Ziel lautet nicht mehr: Ranking in Google, sondern Sichtbarkeit in Chatbots und KI‑Assistenten. Eine erstaunliche, aber gefährliche Entwicklung.
Der menschliche Faktor: Gleichgültigkeit und wirtschaftlicher Druck
Obwohl Google regelmäßig von „Verbesserungen im Kampf gegen Spam“ berichtet, scheint intern etwas anderes zu passieren. Der Fokus verschiebt sich auf Einnahmenquellen – Werbung, Cloud‑Services, Partnerschaften. Und auch OpenAI, Meta oder andere Technologiekonzerne kämpfen mit denselben Spannungen: Wachstum um jeden Preis, Qualität zweitrangig.
Investoren verlangen sichtbare Fortschritte, selbst wenn sie noch kein stabiles Geschäftsmodell tragen. Der Ausbau von Rechenzentren verschlingt Milliarden, daher werden Ressourcen umverteilt – und an den unscheinbaren, aber grundlegenden Bereichen, wie der Spam‑Prävention, gespart. In diesem Klima gedeiht Missbrauch perfekt.
Was das alles für dich bedeutet
Wenn du ernsthaft im SEO arbeitest, gilt: Ehrliche Strategien bringen langfristig noch immer Stabilität, aber kurzfristige Trends treiben dich in den Wahnsinn. Du kannst jede Richtlinie lesen, aber sobald der Algorithmus rutscht, stürzt auch du mit. Es hilft, Signale diverser zu gestalten: natürliche Verlinkungen, klare Autorenprofile, nachvollziehbare User‑Experience. Das macht dich weniger verdächtig, wenn SpamBrain wieder ausschlägt.
Gleichzeitig wirst du beobachten, dass selbst saubere Inhalte abrupt traffic‑verlieren, weil die SERPs voller automatisierter Kopien stehen. Google hat zwar angekündigt, vermehrt manuell gegen Betrug vorzugehen, doch angesichts der Masse ist das kaum realistisch. Für Publisher heißt es also, sich breiter aufzustellen – Newsletter, Communities, Social, direkte Markenbindung. Denn auf die Suchmaschine allein kann man sich 2026 kaum noch verlassen.
Mein Eindruck zum Schluss
Das Internet war schon immer ein Katz‑und‑Maus‑Spiel zwischen Spammern und Plattformen. Aber diesmal fühlt es sich anders an. Die künstliche Intelligenz verschiebt die Waage so stark, dass klassische Qualitätskontrolle kaum hinterherkommt. Vielleicht ist es naiv zu glauben, wir könnten die Zeit zurückdrehen – aber ein stärkeres Bewusstsein für Quellen, Kontext und Verantwortung tut dringend Not.
Solange Suchalgorithmen wirtschaftlichen Zwängen folgen, wird Spam wie Unkraut immer wieder durchbrechen. Und ehrlich gesagt: Ein Teil von mir bewundert die Kreativität der Black‑Hat‑Szene. Doch der andere Teil wünscht sich, dass wir als Branche wieder stärker auf echten Mehrwert schauen. Vielleicht ist das altmodisch, aber im Meer automatisierter Worte macht genau das heute den Unterschied.